Bevor ich die Gewaltfreie Kommunikation (kurz: GFK) kennenlernte, dachte ich „gewaltfrei“ zu kommunizieren bedeutet:
„Ehrlich zu sein, dem anderen direkt zu sagen was man denkt; niemanden zu beleidigen oder anzuschreien. “
– Wera Keller
Nach meinem Verständnis kommunizierte ich also im weitesten Sinne sowieso schon gewaltfrei.
Als ich die Gewaltfreie Kommunikation kennen lernte, habe ich erfahren, wie sehr ich mich irrte. Ich sah ein, wie viel Gewalt in meiner Kommunikation steckte. Eines der ersten Dinge, die ich in der Gewaltfreien Kommunikation kennengelernt habe, war, dass das Denken in „recht“ und „unrecht“ schon Gewalt ist. In dem Moment, wo eine Person recht hat, hat eine andere Unrecht. Nur wer hat die Macht das zu entscheiden? Der Erwachsene? Die Mutter oder der Vater? Der Chef oder ein anderer Vorgesetzter? Der Stärkere? Eine beliebte Vorgehensweise um „recht“ für uns zu beanspruchen ist andere mit ins Boot zu holen, indem wir sagen das „alle“ das so sehen.
Wenn wir uns, unsere Kommunikation einmal genau betrachten, können wir feststellen wo noch Gewalt in unserer Kommunikation versteckt ist. Gewaltfrei kommunizieren bedeutet demnach mehr als nur leise zu sprechen oder Niemanden zu beleidigen. Zu meiner und Ihrer Erleichterung will ich hinzufügen, dass ich davon überzeugt bin, das hinter allem was wir tun, eine positive Absicht steckt. Sie mag nicht immer gleich offensichtlich oder gar verständlich sein und gleichzeitig glaube ich fest daran, dass sie da ist.
Selbst wenn wir unsere Art zu kommunizieren nicht als gewaltvoll betrachten, kommt es doch vor, dass unsere Worte öfters als wir vielleicht denken zu Verletzungen führen. Eine Idee der Gewaltfreien Kommunikation beruht auf dem Gedanken, dass was andere sagen oder tun ein Auslöser für unsere Gefühle sein mag aber nie ihre Ursache und umgekehrt natürlich auch.
Dies bedeutet eher eine große emotionale Freiheit als ein Freifahrtschein für Schimpfattacken. Ist es nicht eine große Entlastung sich vorzustellen, dass Sie nicht verantwortlich sind für das was andere fühlen. Denn genau genommen entstehen unsere Gefühle aufgrund der Erfahrung, die wir gemacht haben. Dieser Erfahrung geben wir eine Bedeutung, welche an ein bestimmtes Gefühl gebunden ist. Dieser gesamte Prozess dauert nur wenige Augenblicke. In diesem Moment verbinden wir dieses Gefühl mit der Person oder dem Ereignis, die an dieser Situation beteiligt waren. Und weil wir irgendwann in unserem Leben gelernt haben, dass es einfacher und oft auch weniger schmerzvoll ist andere für dieses Gefühl verantwortlich zu machen, tun wir das häufig in solchen Situationen. Wir entscheiden uns für ein anderes Gefühl. Eines das von anderen für akzeptabler gehalten wird.
Außerdem kann uns diese Vorgehensweise Kraft geben. Wenn wir z.B. jemand anderes für unser Gefühl verantwortlich machen und dieses in ein anderes verwandeln, wie z.B. „Angst“ oder „Trauer“ in „Wut“. Diese „Wut“ kann uns wieder handlungsfähig machen und manchmal bekommen wir auch noch Verständnis von anderen. Wenn das passiert, können wir doch eigentlich nur „recht“ haben? Nicht wahr? Aber was dann? Sind wir dann wirklich glücklich? Wenn ja, für wie lange? Und wie gestaltet sich die Beziehung zu dieser Person danach? Ist sie frei oder belastet?
„Wollen Sie recht haben oder glücklich sein? Beides gleichzeitig geht nicht.“
– Marshall B. Rosenberg
Diese Art des Denkens und der Kommunikation haben wir Jahrelang vorgelebt bekommen und wurden meisterlich von unseren Eltern und anderen Erwachsenen darin ausgebildet. (Bitte vergessen sie nicht, dass auch diese Menschen eine positive Absicht hatten!)
Aber wie konnte das passieren?
Im Grunde ist dies ganz einfach. Wenn wir z.B. hingefallen sind, haben unsere Eltern versucht uns zu trösten. Sie haben uns gesagt, dass das blutende Knie gar nicht schlimm ist. Vielleicht haben Sie versucht uns Tapferkeit zuzusprechen indem sie uns gesagt haben, dass ein echter Indianer keinen Schmerz kennt. Vielleicht wurde für den Sturz jemand verantwortlich gemacht. Entweder das Kind selbst (Das kommt davon, wenn man nicht aufpasst.) oder jemand anderes (Warum kannst du nicht besser auf ihn/sie aufpassen?)
Wir waren Kinder und haben den Erwachsenen geglaubt und vertraut. Mehr als uns selbst. Wir haben angefangen uns von unseren Gefühlen abzuschneiden. Aus unserer Kinderlogik heraus blieb uns gar nichts anderes übrig als den Erwachsenen zu glauben.
Insgesamt gibt es drei solcher Kinderlogiken:
- Erwachsene haben immer recht!
- Erwachsene wissen alles!
- Erwachsene meinen es immer gut mit uns!
Wir hätten also gar nichts anders machen können, als den Menschen, von denen wir abhängig sind zu Vertrauen. Indem wir ihnen aber glauben, beginnen wir unser eigentliches Gefühl zu ersetzen. (Mama / Papa wissen alles und wenn sie sagen, das ist nicht schlimm, dann ist das so.) Machen wir darüber hinaus jemand anderes für dieses Ereignis verantwortlich, lernen wir eine Strategie, mit der wir uns von unseren wirklichen Gefühlen trennen.
Jetzt ist es allerdings so, dass die Idee andere für unsere Gefühle verantwortlich zu machen auch andere haben. Das heißt, wir sollen die Verantwortung für Traurigkeit, Wut, Enttäuschung, Eifersucht, … übernehmen. Wie geht es Ihnen, wenn jemand zu Ihnen sagt: „Wegen dir bin ich traurig.“ Wollen Sie diese Verantwortung für dieses Gefühl? Würde es einen Unterschied für Sie machen, wenn dieser jemand zu Ihnen sagen würde: „Ich bin traurig, weil mir Vertrauen wichtig ist.“
Ein weiter Punkt ist, die Macht die wir einer Person geben, wenn wir ihr zugestehen uns Gefühle machen zu können. (z.B. Du hast mich traurig gemacht.) Wir machen uns zudem auch noch abhängig von Menschen. (z.B. Nur du kannst mich glücklich machen.)
In jedem Moment, in dem wir jemandem etwas einreden wollen, ihn verändern wollen, behaupten zu wissen was im anderen vorgeht. Wenn wir Vergleiche anstellen z.B. Du bist wie dein Vater. Usw. In diesen Momenten üben wir Gewalt aus. Dies tun wir in Zwei Richtungen. Zum einen an unserem Gesprächspartner, weil wir ihm Dinge unterstellen und zum anderen uns selbst gegenüber, weil wir uns unsere wahren Gefühle verwehren und die Erfüllung unserer darunter liegenden Bedürfnisse. Wir verlieren die Verbindung zu uns selbst und dadurch auch zu anderen.
Die Gewaltfreie Kommunikation unterstützt uns darin, genau diese Verbindung wiederherzustellen und führt dadurch zu Beziehungen, die auf Einfühlsamkeit und Gleichwertigkeit beruhen. Vor allem aber unterstützt sie uns dabei Auslöser von Ursache zu trennen.
Es gibt viele Beispiele wie das „blutende Knie“ und wie bereits erwähnt liegt hinter jedem Verhalten eine positive Absicht und Eltern meinen es in der Regel auch gut mit ihren Kindern. Es geht auch nicht darum ob das was wir tun richtig oder falsch ist, sondern führt es langfristig gesehen zu dem Ergebnis, was ich mir für mein Kind wünsche. Wie kommt mein Kind auf dieser Welt zurecht, wenn es erwachsen ist oder ich nicht mehr da bin? Was sind die langfristigen Konsequenzen für unsere Beziehung? Was erfüllt sich für mich dadurch und was erfüllt sich für mein Kind dadurch? Welche Möglichkeiten ergeben sich dadurch? Wie will ich meinem Kind und anderen Menschen in Erinnerung bleiben?
„Jenseits von richtig und falsch liegt ein Ort. Dort treffen wir uns.“
– Rumi
Also, was verbinden Sie mit dem Begriff „Gewaltfreie Kommunikation?“
Wera Keller
Trainerin für Gewaltfreie Kommunikation